Thies Rabe schafft die Schreibschrift ab – endlich!

Die Hamburger Schulferien haben angefangen. Das heißt Koffer packen, ab in den Urlaub und die freie Zeit für Entspannung und Spaß nutzen. Ein paar unermüdliche Streithähne allerdings starten lieber mit neuen Aufregern in die Ferien. Der aktuelle Anlass zur Entrüstung heißt Grundschrift. Das ist eine relativ neue Art von Anfangsschrift, eine Art Zwischending zwischen Druck- und klassischer Schreibschrift, quasi Druckbuchstaben, die man miteinander verbinden kann. Eigentlich ganz praktisch. Diese Schrift können Hamburger Grundschüler nach einem Beschluss von Bildungssenator Thies Rabe ab dem kommenden Schuljahr lernen – die Entscheidung obliegt der Schule. Der Vorteil der Grundschrift: Die Schüler müssen nur noch eine Schrift lernen und nicht mehr zwei. Vorteil Nummer zwei: Sie lernen eine Schrift, die ungefähr so aussieht wie die, die fast alle Menschen schreiben. Das ist jedenfalls mein Eindruck.

Die Diskussion weckt bei mir Erinnerung an meine eigenen ersten Schreibversuche. Damals galt noch die Lateinische Ausgangsschrift als Standard. Wann wir die Druckschrift gelernt haben, weiß ich nicht mehr, aber es war sicherlich eine Erleichterung. Eine einzige 3 hat sich nämlich konstant durch all meine Grundschulzeugnisse gezogen und für Frust gesorgt, und zwar in „Schreiben“: „Alexandras Buchstabengröße wechselt häufig, außerdem hat sie manchmal ein unsauberes Schriftbild.“ Kein Wunder, bei den komischen Kringeln und Schnörkeln, die man damals machen musste, das war nichts für ein ungeduldiges Kind. Ich konnte auch zum Beispiel noch nie gut gerade Linien ausschneiden (gut, dass ich mit diesen Voraussetzungen nicht auf der Hauptschule gelandet bin, ich wäre Klassenletzte geworden bei der ganzen berufspraktischen Ausrichtung. Aber das nur am Rande).

Zurück zur Schreibschrift. Hand aufs Herz: Wäre auch nur einer der werten Leser dieses Textes oder nur einer der Verfechter der Schreibschrift in der Lage, einen Text in lupenreiner Lateinischer Ausgangsschrift zu schreiben? Die vielen Kurven beim großen G? Und das große X? Und wirklich alle Buchstaben verbinden? Zum Glück musste ja die Lateinische Ausgangsschrift aufgrund genau dieser lebensfernen Schnörkel schon vor geraumer Zeit der Vereinfachten Ausgangsschrift weichen, bei der aber immer noch eine ganze Menge Kringel zu finden sind. Gab es damals eigentlich auch solche Aufregung, als die eine Schrift die andere ersetzt hat? Wahrscheinlich. Dieses Mal jedenfalls lautet das Argument der Grundschrift-Gegner, dass mit der Schreibschrift eine Kulturtechnik verschwinde (s. z.B. in der heutigen Welt). Durch ein so schweres Wort erhält die Schreibschrift auf einmal ein wahnsinniges Gewicht: Als Kulturtechnik ist sie praktisch in Stein gemeißelt und darf eigentlich nie und nimmer abgeschafft werden. Aber was ist, wenn ich recht habe und eigentlich kein erwachsener Mensch in der Lage ist, richtige Schreibschrift zu schreiben? Ich würde zu gern einmal ein paar handschriftliche Notizen der in der Welt zitierten Kulturtechnik-Beschwörer sehen. Oder schreiben sie gar nicht mehr mit der Hand?

Das bringt mich auf eine Idee: Vielleicht können sie stattdessen erst einmal für die Wahrung einer Kulturtechnik namens Schreiben-mit-der-Hand-egal-wie-die-Schrift-heißt kämpfen, ganz ohne Copy & Paste und Rechtschreibprüfung, das wäre schon ein großes Ziel. Und eine schöne Aufgabe für konservativ orientierte Menschen. Einen solchen hatte ich persönlich übrigens in der Sekundarstufe 1 als Lehrer. Herr S. führte seinen persönlichen Kampf für den Erhalt der Kulturtechnik des Lesens altdeutscher Schrift und für eine Verbesserung der Schönschrift. Das sah in der Praxis so aus, dass wir ein Jahr lang im Deutschunterricht in Klasse 8 Fraktur-Bibelseiten in Schönschrift abschreiben mussten. Falsche Buchstaben zählten als ganzer Fehler, korrigierte Verschreiber als Viertelfehler. In einer Klausur sind wir alle am Wort „Onyx“ gescheitert, weil wir es nicht kannten und weder das große O noch das x entziffern konnten. Ein klarer Mangel an Kultur! Wie ließ unser „Dnyr“ das Feuer der Entrüstung in den Augen unseres Lehrers leuchten!

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